Eine „Weihnachtsgeschichte“ aus dem Neugeborenen-Screening


In unserem Labor-Alltag treffen wir auf viele emotionale und bewegende Situationen. Eine ganz besondere Situation ereignete sich in unserer Abteilung Neugeborenen-Screening am 24. Dezember 2021.

Das Neugeborenen-Screening, gestartet 1999 als Modellprojekt im Labor Becker, dient zur Diagnostik angeborener Erkrankungen. Die Erkrankungen sind bei den Neugeborenen klinisch oft noch nicht erkennbar, unbehandelt können sie zu Organschäden, geistigen oder körperlichen Behinderungen oder gar zum Tod führen. Die Untersuchungen im Rahmen des Neugeborenen-Screenings können zu einer frühzeitigen Behandlung beitragen und Langzeitfolgen abmildern oder sogar verhindern.

Laut Bayerischem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit weist etwa jedes 1000. Neugeborene beim Neugeborenen-Screening eine Erkrankung auf. Hierbei handelt es sich um Störungen des Stoffwechsels, des Hormon-, Blut-, Immunsystems und des neuromuskulären Systems.

An Heilig Abend 2021 um 13:30 Uhr wurde im Rahmen des Neugeborenen-Screenings festgestellt, dass der Analysenwert „Isovaleryl-Carnitin“ eines Neugeborenen deutlich von den Normwerten abwich. Die Erhöhung des Metaboliten Isovaleryl-Carnitin weist auf eine seltene, schwere angeborene Stoffwechselkrankheit, die Isovalerianazidämie (IVA) hin. Der Abbau der Aminosäure Leucin ist dabei gestört. Zunächst sind die Neugeborenen klinisch unauffällig, bleibt die Erkrankung unerkannt und unbehandelt, treten Symptome wie, Störungen bei der Nahrungsaufnahme, Erbrechen, muskuläre Hypotonie oder Lethargie bis hin zum Koma auf.

Eine Erhöhung von Isovaleryl-Carnitin im Neugeborenen-Screening kann jedoch auch dadurch hervorgerufen werden, dass die Mutter kurz vor Entbindung das Antibiotikum Pivmecillinam eingenommen hat. Dieses Medikament wird häufig zur Behandlung von Harnwegsinfekten verschrieben. 

Zur weiteren Abklärung bei erhöhten Analysenwerten im Neugeborenen-Screening wird im Labor Becker ein zusätzlicher, unabhängiger Test, der sogenannte 2nd-tier Test durchgeführt. Um 15:00 Uhr die große Erleichterung: die Analysenwerte des Neugeborenen waren im differenzierten Screening unauffällig. Die erhöhten Werte im Neugeborenen-Screening waren letztlich darauf zurückzuführen, dass die Mutter kurz vor der Entbindung das Antibiotikum Pivmecillinam eingenommen hatte.

Für das Team Abteilung Neugeborenen-Screening war es das größte Weihnachtsgeschenk zu wissen, dass das Kind nicht an einer Isovalerianazidämie litt. Zudem hat es das Team sehr berührt zu erfahren, welch wichtigen Beitrag es durch die analytische Tätigkeit leistet. Es wäre schlimm gewesen, die Familie an Heilig Abend über die Erkrankung Ihres Kindes informieren zu müssen. Eine Einweisung des Kindes in eine Spezialklinik, weitere Untersuchungen und Abklärungen wären die Folgen gewesen. Zudem wäre es schwierig gewesen, an Heilig Abend, einem Freitagnachmittag, den Klinikarzt auf der Entbindungsstation zu erreichen und über die Situation zu informieren. Dank der Abklärung konnten nun die Eltern ein völlig unbekümmertes Weihnachtsfest mit ihrem Neugeborenen feiern.

Für Ärzte von Schwangeren gilt zur Vermeidung von potenziell falsch-positiven Neugeborenen-Screenings daher folgende Empfehlung:

Nach Möglichkeit sollte auf ein anderes Antibiotikum als Pivmecillinam kurz vor der Entbindung zurückgegriffen werden. Weiterhin ist es empfehlenswert, die Möglichkeit eines falsch-positiven Screeningbefundes zu kennen und bei der Anamnese gezielt nach einer Behandlung der Mutter mit Pivmecillinam in den Tagen vor der Geburt zu fragen. Da Pivalinsäurederivate (als Neopentanoat) auch als Weichmacher z.B. in Salben zur Pflege von Brustwarzen enthalten sein können, sollte auch dies gezielt erfragt werden.

Bei Verdacht auf das Vorliegen einer Isovalerianazidämie, sollte das Neugeborene umgehend in einem Fachzentrum für angeborene Stoffwechselerkrankungen untersucht und behandelt werden.




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